Digitale Souveränität und Industrie 4.0 — Drei Thesen für eine Digitale Zukunft
Letzte Woche wurde ich vom Werner von Werner-von-Siemens Centre for Industry and Science e.V. als Impulsgeber für die Veranstaltung zu “Industrie 4.0 und Blockchain” eingeladen.
Wenn zwei so große Buzzwords aufeinandertreffen wurde vieles schon oft gesagt. Alles wird digital und schneller und besser und am Ende arbeiten alle zusammen ohne in die Abhängigkeit der Daten-Kraken zu geraten. Allein sehen wir in der Praxis noch nicht so viel davon. Deshalb nutze ich die Gelegenheit für die Frage, was denn eigentlich passieren muss, um tatsächlichen Fortschritt zu erreichen. Zugegeben ist das nur meine eigene Sicht und aufgrund der zur Verfügung stehenden Zeit weder eine umfassende noch eine abschließende Betrachtung. Trotzdem habe ich mich an drei Thesen für eine (erfolgreiche) digitale Transformation versucht:
These 1: Wir müssen dem Passwort-Web ein Ende setzen! Die digitale Identitäten ist die Voraussetzung für digitale Geschäftsmodelle.
Wie in der realen Welt erfordert eine Geschäftsbeziehung auch in der digitalen Welt Vertrauen. Ich muss also wissen, wer dieser digitale Geschäftspartner auf der anderen Seite tatsächlich ist. Dieses Vertrauen wird durch den Austausch und die Prüfung von Daten aufgebaut. Das können Stammdaten, Zertifikat oder auch Bewertungen Dritter sein. In der Zeit vor dem Internet haben sich die Geschäftspartner dazu meist persönlich getroffen, begutachtet und Daten ausgetauscht.
Heute werden Daten digital abgelegt und verarbeitet. Allerdings gibt es hierbei noch so einige Probleme.
- Digital übermittelten Daten eines Geschäftspartners können nicht vor Manipulation geschützt werden, dadurch sind sie allein nicht ausreichend und werden noch heute mit manuellen Prüfungen und dem Austausch von Papier und Unterschrift begleitet.
- Der Aufwand für die digitale Datenübermittlung steigt extrem, da jedes Unternehmen seine eigene digitale Partnermanagement-Lösung hat. Auf der müssen sich die Geschäftspartner anmelden und ihre Daten jeweils aktuell halten.
Beides führt dazu, dass das Onboarding von Geschäftspartnern und die Pflege von Geschäftsbeziehungen noch immer mit einem massiven manuellen Aufwand verbunden ist. Als Unternehmen habe ich also verschiedene digitale Anlaufstellen, bei denen ich mich Anmelden und anschließend meine Daten aktualisieren muss. Jeder einzelne dieser (durch Passwörter geschützte) Accounts, enthält Daten über mich und mein Unternehmen. Ich muss diese mehrfach pflegen, stets überall auf den aktuellen Stand bringen und mein Gegenüber kann sich nicht darauf verlassen, dass die Daten tatsächlich echt sind.
In manchen Branchen werden zentrale Plattformen verwendet, die Lieferantendaten vorhalten und mit Geschäftspartnern teilen. Hier reduziert sich der Pflegeaufwand aber es entstehen eben auch neue Datenkraken, die neben dem Wissen über die Geschäftspartner (Stammdaten) auch mehr und mehr Wissen über die Geschäftsabläufe (Prozessdaten) generieren.
Erstrebenswert ist es doch also, eine digitale Identität des Unternehmens zu haben, die ich selbst verwalte. Meine Daten muss ich einmal pflegen und kann diese mit allen meinen Geschäftspartnern teilen. Sind die Daten dann noch attestiert, kann mein Geschäftspartner die Echtheit überprüfen und ohne analoge “Parallelprozesse” die Zusammenarbeit mit mir ad hoc starten. Dieses digitale Onboarding und Geschäftspartner-Management mag im Vergleich zu IoT, SmartServices und KI zwar unspektakulär aussehen, ist aber die Grundvoraussetzung für rein digitale Geschäftsbeziehungen.
These 2: Das Technologie-Problem ist gelöst! Es fehlt an semantischen Standards.
Auch nach mehreren Jahrzehnten des Umgangs von Unternehmen mit IT wird noch immer jede neue Technologie als Heilsbringer für alte Wunden aufgefasst. So entstehen Hypes, werden Erwartungen enttäuscht und am Ende kommt die nächste Technologie. Mit Blockchain ist das ebenso. Nur wird diese ewige Suche nach der neuen technologischen Lösung nicht von Erfolg gekrönt sein. Wir haben heute alle Technologie verfügbar, um digital zu interagieren. Was fehlt ist das Verständnis der übertragenen Daten, also die Semantik. Wenn ich wirklich will, dass Daten automatisiert verarbeitet werden, muss ich diese verstehen können — und das ohne Zutun eines Menschen, der liest und interpretiert. Will ich in Netzwerken agieren, gewinnt die Frage mit der steigenden Anzahl an Netzwerk-Partnern massiv an Bedeutung. Das Fax eines Geschäftspartners wird nicht 1:1 an den nächsten weitergegeben. Es muss gelesen, interpretiert, transformiert und an den Nächsten versendet werden. Egal ob Lieferketten oder Kooperationsbeziehungen, fast alle unternehmensübergreifenden Arbeiten werden heute auf dem Weg etabliert und durchgeführt. Sollen Daten wie Ressourcen-Verfügbarkeiten, Qualitätsstandards oder Protokolle zwischen mehreren Partnern ausgetauscht werden, müssen die dazu benötigten Datenformate so beschrieben sein, dass alle diese nutzen können. Das umfasst auch neue Geschäftspartner, die im Netzwerk ihre Arbeit beginnen. Die dazu notwendigen Standards liegen nicht auf Ebene der IT. Es geht nicht um APIs und Schnittstellen. Es geht um Datenformate und Inhalte. Die Nutzbarmachung dieser Daten erfordert eine Standardisierung und ist nur durch die handelnden Unternehmen selbst möglich.
These 3: Schluss mit dem Warten! Digitale Souveränität erfordert digitale Kompetenzen und aktives Gestalten aller Unternehmen.
Und das ist die perfekte Überleitung zur dritten These. Erst wenn Unternehmen digital aktiv werden, ist digitale Souveränität überhaupt möglich. Auf einem Vortrag vor einiger Zeit beschrieb ein Vortragender die Vorteile der Blockchain mit “Warum sollen die Taxifahrer UBER nutzen, wenn sie sich doch zusammenschließen können und den Service selbst erbringen.” Der Satz gefällt mir, beschreibt er doch schön das Problem des Technologie-Hypes. Allein durch das Vorhandensein der Blockchain ist den Taxifahrern nicht geholfen. Gleiches gilt für allen anderen, vor allem mittelständische Unternehmen. Zu warten bis jemand einen dezentralen Service bietet, den sie dann nutzen können, ist kein besonders guter Ansatz, da dann ja wieder eine Abhängigkeit vom Service-Anbieter besteht. Den Service “selbst machen” erfordert aber einiges mehr an echter IT-Kompetenz, als die meisten Mittelständler heute an Board haben. IT-Wissen ist für alle Unternehmen heute genauso wichtig wie HR, Finance und Produktion. Natürlich gibt es hier gute Beispiele, die Schule machen können. Ich selbst habe mit Unternehmen in der Maschinenvermietung gearbeitet, denen die Bedeutung des Digitalen glasklar war und die vor einigen Jahren in die Ausbildung von IT-Mitarbeitern gesetzt haben. Die nächste Hürde stellt die Notwendigkeit der Zusammenarbeit für collaborative Geschäftsmodelle dar. Hier muss auf Partner und auch Mitbewerber zugegangen werden, um kooperative Projekte zu starten. Auch die Frage, wie die Strukturen geschaffen werden können, um die ersten Gestalter zu motivieren aber das Netzwerk offen für später hinzustoßen Unternehmen zu halten sind wichtige Themen, die angegangen werden müssen. All das geht nicht im Wartemodus. All das erfordert Aktion. Zugegeben, ganz leicht ist der Anfang nicht aber es gibt schon heute viele Anlaufpunkte, die für die ersten Schritte Unterstützung bieten können. In Deutschland sind da vor allem die vom BMWi geförderten Schaufensterprojekte zu nennen, insbesondere ID-Union und ID-Ideal befassen sich mit Industrie-relevanten Themen. Auf internationaler Ebene sind die Aktivitäten der Sovrin-Foundation aber auch z.B. Trust-Over-IP wichtige und gute Anlaufpunkte.